Wintersonnenwende

In den dunklen Tagen der Weihnachtszeit ist es leicht in die Tiefe zu gehen, innig zu werden. Im Sommer dagegen wird man eher ekstatisch, es zieht einen hinaus ins Freie und lädt zum Tanz in der blühenden Natur ein. In den Winternächten ist es anders, da kann man in der Innenschau das Wunder der Wiedergeburt des Lichtes erleben, wenn das „Licht der Welt“ von den Urmüttern unter den Wurzeln des Weltenbaumes wiedergeboren wird.

Im Zustand der stillen Versenkung kommt man auch leichter mit den Urahnen in Verbindung und erfährt ihren Segen und ihre Weisungen (Ahnungen). Da hilft es, wenn man sich – auch wenn nur vorübergehend – an dem Ort befindet, wo die Vorfahren einst lebten. Sie sind ja noch in uns. Wir erben von ihnen ja nicht nur das Proteinsynthese-steuernde DNS/RNS, sondern auch die inneren Bilder und Erfahrungen, die in tiefen, unbewussten Schichten unserer Seele lagern. In den Weihnachtstagen ist es leichter Zugang zu diesen Tiefen zu finden.

Zu Advent winden wir bei uns jedes Jahr einen Kranz aus Fichtengrün, binden ihn mit rotem Band und setzen vier rote Adventskerzen darauf. Der Brauch ist alt und völlig im Einklang mit den kulturellen Wurzeln der Alteuropäer. Es ist das Sonnenrad mit den vier Kardinalpunkten, den Tagnachtgleichen und Sonnenwenden. Das Grün symbolisiert das ewige Leben, den Fluss der ätherischen Lebenskräfte; das Rot ist – wie das Blut – Träger der Seele; die vier Kerzen, sind die vier Jahreszeiten, die vier Lebensalter, sie sind Morgen, Mittag, Abend und Mitternacht; und die Lichterflamme ist das Licht des göttlichen Geistes, das in uns brennt.

Zum Advent gehört ein Kranz aus Fichtengrün und vier roten Kerzen.
Zum Advent gehört ein Kranz aus Fichtengrün und vier roten Kerzen.

Während der Adventszeit ziehen die Geister um; es sind die struppigen Naturgeister und hungrigen Totengeister, angeführt von dem schimmelreitenden Zaubergott oder der wilden Percht. Die Gottheit aus den Tiefen des Waldes oder aus dem hohen Norden wurde im Zuge der Christianisierung zum Sankt Nikolaus, dem Bischof von Myra in Kleinasien, und die Geister, die ihn begleiteten, wurden zum Pelznickel, Hans Trapp, Krampus, swarte Piet, Polterklaus und anderen rauen Gesellen.

In der Heiligen Nacht, dann, geschieht das Wunder; der Kreis öffnet sich – … „heut schließt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis, der Cherub steht nicht mehr dafür, Gott sei Lob, ehr und Preis … „ und wir sehen den Weltenbaum voller Licht; auf jedem Zweig die Lichtgötter (Engel); die Musik der Sphärenharmonie erklingt durch den Raum; am Stamm bei den Wurzeln, liegt das Kindlein klein auf Heu und auf Stroh. Die Hirten – sie symbolisieren die meditierenden Seelen – und die Könige – sie symbolisieren die klaren, sternkundigen weisen Seelen – sind die Zeugen. Und die schön eingepackten Geschenke, die wir einander geben, sind Ausdruck der Liebe die uns miteinander verbindet; sie sind auch Ausdruck der vielen Geschenke der Götter- und Geisterwelt.

Raunächte

Zwölf Tage lang wurde einst dieses Sonnwend- oder Jul-fest gefeiert. Es waren die Rauh- oder Rauchnächte, in denen Hof, Haus und Stall mit würzigen Kräutern ausgeräuchert wurden. Und da die Götter und Ahnen in der Julzeit so nahe sind, war es auch eine gute Gelegenheit sie um Rat zu bitten und Orakel zu befragen. Auch die Totengeister wurden nun gespeist und eingeladen mitzufeiern. Nach den zwölf heiligen Nächten kamen die drei Göttinnen vorbei– noch im Mittelalter kannte man sie als die drei Bethen: Ambeth, Wilbeth, Worbeth – und segneten jedes Haus für das kommende Jahr, ehe dann der starke goldborstige Eber des gütigen Freyr das Jahresrad mit seiner Kraft wieder anschob. (Der Jul-Eber lebt weiter in Form des Glücksschweinchens aus Marzipan, das wir zum Neujahrsfest verschenken.)

In den Raunächten wurde das ganze Haus ausgeräuchert.

Die Wintersonnwende, war den Waldvölkern, den Kelten, Germanen, Slaven und Balten, so wichtig dass sie nicht davon lassen wollten. Die Kirche hatte keine Wahl, als wie die Geburt Jesu in die Sonnwendtage zu verlegen – Papst Liberius setzte im Jahr 354 n.Ch. den 24. Dezember als den offiziellen Geburtstag des Heilands fest. Nun sind es auch nicht mehr die drei Göttinnen, welche die zwölf Weihnachtstage zu Epiphanien beenden und die Häuser segnen, sondern die drei Heiligen Könige aus dem Morgenland, Caspar, Melchior und Balthasar. Aber damit habe ich keine Probleme. Die heilige, segensreiche Zeit bleibt bestehen und die Götter sind unsterblich; es ist nur dass sie ihre Erscheinung gewechselt haben. Jetzt im Zeitalter der Fische erscheinen sie eben in einem christlichen Gewand. Und nichts spricht dagegen, dass wir auch die alten christlichen Weihnachtslieder singen und das „Licht der Welt“ und den lieben Gott in der Gestalt des Mariensohns in der Krippe unter dem Tannenbaum verehren.

Irgendwann – wenn alles zu flach, kommerzialisiert und bedeutungsleer wird – werden die Götter sowieso wieder ganz andere Erscheinungen annehmen und sich in der Natur und in unserer Seele neu offenbaren.

Die alte Göttin und ihre Pflanzen von Wolf-Dieter Storl auf Mythopoetic

Literaturtipp

In dem Buch “Die alte Göttin und ihre Pflanzen” erfahren wir wie wir durch Märchen zu unserer Urspiritualität finden. Unsere Ahnen lebten in inniger Naturverbundenheit; für sie war die Natur beseelt und ansprechbar. Ich erzähle uns anhand von alten Sagen, Mythen und Märchen, von den Urgöttern, von Frau Holle, von Schamanenweisheit und den Heilkräften des Waldes. Ich möchte uns die Augen öffnet für eine heilsame Beziehung mit der Natur: Wir entdecken den tiefen Sinn und den Geist, der allem innewohnt, und finden so den Weg zurück zu unserer natürlichen Urspiritualität.

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Über den Autor

Wolf-Dieter Storl

Wolf-Dieter Storl

Wolf-Dieter Storl, geboren in Sachsen, ist Kulturanthropologe und Ethnobotaniker. Er ist Autor zahlreicher Bücher über die Natur sowie über das Wesen und die Geheimnisse der Pflanzen.
Die wilde, ursprüngliche Natur war stets seine Inspiration, formte seine Lebensphilosophie. Pflanzen sind für ihn nicht nur botanische Gegenstände, sondern haben, durch ihre Wechselbeziehung mit den Menschen, auch eine kulturelle, sprachliche, heilkundliche und mythologische Identität.
Der Gelehrte, Referent und Autor lebt mit seiner Familie im Allgäu.

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